Saila - A film by Julia Ostertagsaila    credits    about j.o.    trailer    making of    mail/dvd    press   main
Written      directed      shot      edited by Julia Ostertag      2006 - 2008      95 min.


 Interview mit Regisseurin Julia Ostertag - Stadtkind Hannover

Julia Ostertag wurde 1970 in Stuttgart geboren. Sie studierte Freie Kunst in Hannover und Braunschweig und war Meisterschülerin von Birgit Hein an der HBK Braunschweig. Ihre ersten Super 8-Filme zeigte sie auf den „Nordstadt-Filmtagen“ 1989. Inzwischen lebt sie in Berlin und Hannover. Nach ihren international erfolgreichen Kurzfilmen und der auf der Berlinale gezeigten Dokumentation „Gender X“ präsentiert Julia Ostertag mit „Saila“ ihren ersten abendfüllenden Spielfilm. Für ihren Kurzfilm „Sexjunkie“ filmte sie noch in den Industriebrachen Hannovers, für „Saila“ hat sie jetzt die Fabrikruinen der ehemaligen DDR entdeckt. Das „Stadtkind“ sprach mit der für provokative experimentelle Arbeiten bekannten Regisseurin über geheime Drehorte, Sex und American Underground.

Wie bist du auf die Idee zu deinem Film gekommen?

Ich wollte eine sexuell aktive, gewalttätige und mysteriöse Frauengestalt entwerfen. Es sollte allerdings keine moralischen Rechtfertigung oder Erklärung für ihr Verhalten geben. Also musste ich sie in einer gesetzlosen Zone ansiedeln, einer Art Paralleluniversum, in dem alles möglich ist. Dafür boten sich diese seltsamen Ost-Architekturen an, die man noch bis vor kurzem leicht finden konnte, sobald man sich mehr als 10km vom Zentrum Berlins entfernt....

Hattest du schon länger vor, einen Langfilm zu drehen?

JA. Der inszenierte Langfilm ist für mich die „Königsdisziplin“ des Filmemachens. Irgendwann habe ich mich dabei ertappt, bei den Biografien meiner Vorbilder immer danach zu suchen, in welchem Alter sie ihre Spielfilme gedreht hatten.
Da wusste ich: Ich muss es einfach angehen


Wie hast du den Film finanziert?

Das wird wohl mein offenes Geheimnis bleiben. Ich würde gern sagen „with a little help from my friends“. Truly Underground. Denn wenn nicht jeder bereit gewesen wäre, ohne Geld an dem Projekt mitzuarbeiten, wären wir nie so weit gekommen. Auch wenn ich Buch, Regie, Kamera und Schnitt gemacht habe: Alleine kann man solche Projekte nicht stemmen. Keine deutsche Film- oder Kunstförderung konnte sich für das Projekt erwärmen. Ich habe insgesamt 7 Ablehnungen bekommen. Das geht irgendwann auf die Psyche.

Der Film ist über einen Zeitraum von zwei Jahren entstanden - wie waren die Dreharbeiten?

Die Dreharbeiten waren so ziemlich das Beste, was ich in meinem erwachsenen Leben je erlebt habe. Es hat sich so eine Art „film conspiracy“ entwickelt, die ich nie für möglich gehalten hätte. Der Nervenkitzel, in ein unbekanntes Gebiet zu gehen und zu sehen, wie nah so eine zeitlich limitierte Inszenierung an die Szenen kommt, die im Script visualisiert wurden, das hat etwas von einem Abenteuerspiel. Aber ich habe den Leuten auch klar gemacht, wie ernst es mir mit dem Projekt ist und habe ihnen oft einiges abverlangt. Aber dafür bin ich ja bekannt - und keiner hat es mir übel genommen. ( lacht ; )

Dein Film lebt vor allem auch vom großartigen Setting. War es schwer, die passenden Orte zu finden?

Für mich als leidenschaftlichen „urban explorer“ war das nicht wirklich schwierig. Ich bekam auch viele gute Empfehlungen. Schwieriger war, einzuschätzen, ob wirklich die Gefahr von Anzeigen o.ä. droht, wenn man an diesen Orten beim Drehen erwischt wird. Das wollte ich eigentlich nicht riskieren. Aber wir hatten eine Menge Glück und wenn so etwas gut läuft, entwickelt sich eine ganz eigene Magie. Ausserdem sind wir günstig an diese seltsame „Ostparzelle“ - Sailas „Zuhause“ - gekommen, wo wir dann tatsächlich eine Dreh-Genehmigung hatten.

Ein Teil des Films wurde auch in Hannover gedreht. Verrätst du uns, wo ihr gefilmt habt?

Ja, an dieser Mergelgrube zwischen den Betonwerken in Anderten. Erinnert bei schlechtem Wetter an einen Tarkowskij Film - und sieht tatsächlich noch genau so aus wie vor 15 Jahren...!

Dein Talent für Soundtracks ist ja schon geradezu legendär - wie machst du das?
Und wo findest du die Musik für deine Filme?


Ich habe sehr genaue Vorstellungen, welche Musik zu meinen Bildern passt und mache da auch keine Kompromisse. Allerdings erfordert es auch Musiker, die sich in so etwas hineindenken können und mir freie Hand für den Einsatz der Sounds im Film lassen. So ist es eine internationale Mischung geworden: Da sind Impulsantwort, ein Industrial Projekt , die ich seit Jahren kenne, und die sphärisch-düstere Band Fake Empire aus Hannover. Ein grosser Teil der Musik kommt aus Wien, von den Bands Cyruss und Phal:angst, deren musikalisches Universum von „Dead Man“-artigen Riffs bis zu Wall of Sounds zum „Showdown“ reicht und nicht zuletzt Jarboe, die eine Hälfte der in den 80ern legendären „Swans“, deren Texte über sexuelle Machtspiele perfekt zu meinen düsteren Erotikszenen passen.

Wo hast du diese genialen Radiomeldungen her?

Die Radiomeldungen habe ich zusammen mit Kirsten Jahn geschrieben und dann von drei verschiedenen Personen - alle native english speaker - einsprechen lassen. Aber teilweise sind es auch Interviewparts mit einem Anti-Faschisten und britischem Ex-Soldaten, der den Zweiten Weltkrieg überlebt hat und in Fragmenten über seine Erfahrungen spricht.

Und wie hast du deine Schauspieler gefunden?

Für Saila hatte ich sofort die Performance-Künstlerin, Autorin und Stripperin Kathryn Fischer aka Mad Kate aus San Francisco im Kopf. Ich wusste, sie würde sowohl die psychische Tiefe als auch die erotische Rücksichtslosigkeit dieser Figur verkörpern können, ohne dass es allzuvieler Worte bedarf. Die anderen Darsteller habe ich bei meinem Streifzügen durch das Berliner Nachtleben getroffen und angesprochen. Zwei ihrer männlichen Opfer kamen auch über Mad Kate ins Spiel... Es entstand also eine Mischung aus Menschen, die sich kannten und solchen, die miteinander konfrontiert wurden - was dem Film auch gutgetan hat. Es konnte nie zu „familiär“ werden, eine Restspannung war in der Luft...

Hat der Name „Saila“ eine besondere Bedeutung für dich?

Das war der Name der weiblichen Hauptfigur, der von Anfang an im Script stand. Und rückwärts heißt er „Alias“...eine Anspielung auf ihre Doppelnatur.

Ein Element des Films ist das der Hausbesetzung. Hast du da persönliche Erfahrungen?

Ich habe mich schon immer gern im Umfeld besetzter Häuser aufgehalten - ohne aber selbst in ihnen zu wohnen. Ich sehe diese kollektiv geschaffenen „Freiheits-Schutz-Zonen“ als entscheidend für das Überleben von Subkultur an. Der Film ist eine Utopie, das heißt in diesem Falle Dystopie - und keine Dokumentation - aber das Umfeld dieser ex-besetzten Häuser und auch die Ästhetik waren für die Entstehung und die Arbeit am Film entscheidend. Besonders in Berlin fasziniert mich, wie international und offen diese „Szene“ist - dadurch war auch sehr bald ein grosses Interesse und die Bereitschaft, an dem Film mitzuwirken vorhanden - ohne dass ich irgendwelche Anzeigen oder Aushänge gebraucht hätte.

Man merkt deinen Filmen an, dass du dem Punk verbunden bist. Würdest du dich selbst als Punk bezeichnen?

Nein, ich habe mich nie einer Gruppierung zugehörig gefühlt. Und der Sell-Out des Punk hat ja eigentlich schon mit dem „Rock´n Roll Swindle“ der Sex Pistols Ende der 70er Jahre in England stattgefunden. Am ehesten kann ich mich mit der intellektuellen Strömung im New York der frühen 70er identifizieren, als Punk für eine Geisteshaltung, eine Form der künstlerischen Annäherung stand - eine Form, der prinzipiell nichts heilig ist, und die mit begrenzten Mitteln das Unmögliche versucht. Und auf jeden Fall ist die Ästhetik des Films und der Hang seiner Protagonisten zur (Selbst)-Zerstörung von Punk im weitesten Sinne beeinflusst .

Deinen Film kann man auch als Zukunftsvision lesen - bist du ein pessimistischer Mensch?

Laut einer etwas philosophischeren Horoskopinterpretation bin ich ein „destruktiver Optimist“. Aber ich sehe mich eher als Existenzialist. Ich habe noch nie eine goldene Zukunft gesehen oder sie mir vormachen lassen. Meine Generation ist in den 80ern auch gut mit den verschiedenen Möglichkeiten des Weltuntergangs versorgt worden. Und die Vorstellung, was passieren würde, wenn diese ganzen Zivilisations-Spielzeuge, mit denen der Mensch sich erfolgreich von den tieferen Fragen seiner Existenz ablenkt, einmal nicht mehr funktionieren, finde ich filmisch sehr reizvoll.

Auf deiner Homepage findet sich in einer Rezension der Satz „Ist Sex der Mittelpunkt menschlicher Existenz?“.
Um diese Frage kreisen deine Filme immer wieder - hast du schon eine Antwort gefunden?


Ich denke, Sex ist nicht der Mittelpunkt menschlicher Existenz, aber die damit verbundenen Emotionen sind archaischer und beeinflussen das Selbstgefühl mehr als rein mentale Prozesse es vermögen. Ich denke, wenn es darauf ankommt, ist der Mensch seinen sexuellen Bedürfnissen, wozu ich aber auch das Bedürfnis nach Nähe als solches und die gleichzeitige Angst vor Verlust und Verletzung zählen würde, sehr ausgeliefert und allein mit ihnen. Sex ist in seiner Vergänglichkeit und Ekstase eng mit dem Tod und dem Wahnsinn verbunden, da er sich einer rein rationalen Betrachtung entzieht und sein eigentliches Wesen auch nicht darstellbar ist.

Hast du Vorbilder für deine Arbeit?

Ja: Filmemacher, die den Film als visionäres Medium nutzen - z.B. Derek Jarman, Andrej Tarkowsky, David Lynch oder solche, die mit begrenzten Mitteln einen radikal eigenen Stil entwickelt haben wie Richard Kern, John Waters und Alejandro Jodorowsky. Und natürlich Künstlerinnen, die weibliche Rollen jenseits von Opferklischees entwerfen:
Lydia Lunch, Kathy Acker, Virginie Despentes.


In Kritiken ist immer wieder die Rede davon, wie sehr deine Arbeiten an das New Yorker Underground-Kino der 80er erinnern. Wie stehst du zu diesem Vergleich?

Ich fühle mich geehrt, da dieser Einfluss tatsächlich vorhanden ist und ich in dieser Zeit - Mitte / Ender der 80er - eine Art erstes künstlerisches Coming Out hatte. Die „Cinema Of Transgression“ Filme liefen damals neben dem normalen „Disco“-Betrieb in diesem Zelt im Musiktheater Bad. Und ein wenig später habe ich zum ersten Mal die düsteren Musik-Filme von Kenneth Anger gesehen. Seither war mir rückblickend eigentlich klar, in welche Richtung ich künstlerisch gehen wollte.
Und mit SAILA bin ich diesem Ziel meiner Meinung nach bisher am nächsten gekommen


„Saila“ hat nicht nur das Minneapolis Underground Film Festival eröffnet, sondern auch gleich noch die Auszeichnung als Bester Spielfilm eingesackt - wie war's in Minneapolis?

Es war einfach großartig, dass der Film seine Premiere auf einem Underground Film Festival in den Staaten hatte. Meine Verbundenheit mit dem American Underground habe ich ja schon betont. Das Gefühl, seinen Film in einem ganz anderen kulturellen Umfeld zu sehen, ist einfach überwältigend. Ich musste mich schwer betrinken. - Das Festival hat für seine Größe eine beeindruckende Auswahl von Filmen gezeigt - und Underground heißt in diesem Sinne nicht Trash, sondern echte inhaltliche und formale Gegenentwürfe zum Mainstream-Kino. Kaum Komödien. Seltsam war, dass zur gleichen Zeit das grosse Treffen der Republikaner dort stattfand - verbunden mit den entsprechenden Protesten und polizeilichen Restriktionen - was wiederum auf irritierende Art der Stimmung in meinem Film entsprach.

Apropos Reisen - von Rio de Janeiro bis San Francisco, von Kalkutta bis Barcelona und nicht zuletzt die Berlinale - deine Filme werden zu Festivals auf der ganzen Welt eingeladen. Fast hat man das Gefühl, dass du im Ausland mehr geschätzt wirst als in der „eigenen Heimat“. Wie kommt das?

Das müsste man wohl mal die deutschen Festival-Kuratoren fragen. Und ich falle natürlich durch die Maschen eines Förderungssystems, das Fernsehkompatibilität als Förderungskriterium voraussetzt.
Von den Amerikanern habe ich den Eindruck, dass sie einen viel direkteren Zugang zur Machart meiner Filme haben als das deutsche Publikum im Allgemeinen. Die sollten generell ein bisschen mehr Experimentalfilme sehen, denke ich ( lacht).
Über Berlin hingegen kann ich überhaupt nicht klagen. Das Publikum dort ist sehr interessiert und allein durch Mundpropaganda scheint sich SAILA dort zu einer Art Underground-Kult-Hit zu entwickeln. Das ist das Beste, was einem Film wie diesem passieren kann.


Reist du gerne?

Auf jeden Fall, besonders mit einem Film.

Und was ist dein Verhältnis zu Hannover?

Es ist wie eine alte Beziehung, von der man nicht wirklich loskommt. Aber auch nicht muss! Ich freue mich sehr, dass es bestimmte Orte immer noch gibt und hoffentlich immer geben wird - das KNHO, den Stumpf, die Silke ... aber manchmal wundere ich mich, dass nichts Neues in dieser Art dazu kommt.

Gehst du gern ins Kino? Was hast du zuletzt gesehen, was dir gut gefallen hat?

Ja, ich gehe sehr gerne ins Kino. Letztes Wochenende war hier in Berlin ein Trash-Kurzfilm-Fest. Es war nicht alles überzeugend, aber definitiv interessant und sehenswert.

Deine Meinung zum „deutschen Film“, wenn man denn von so etwas überhaupt sprechen kann?

Hm, ich habe seit Jahren nichts gesehen, was mich wirklich überzeugt hat.
Mein deutscher Lieblingsfilm ist „Rocker“ von Klaus Lemke.


Arbeitest du schon an etwas Neuem?

Ja, ich habe drei Ideen, aber nach so einem grossen Projekt ist es schwierig, sich für das nächste zu entscheiden. So schneide ich erstmal Musikvideos und Projektionen für Bands, die kann man auch nach der Premiere von SAILA im KNHO sehen, wenn im Anschluss daran Fake Empire spielen.

Vielen Dank für das Gespräch!  » back